9. Mai 2025
Es ist der Auftakt des Berliner Theatertreffens 2025. Im ausverkauften Großen Saal des Hauses der Berliner Festspiele erklingen Verse von Friedrich Hölderlin. Die Worte des deutschen Dichters, der zu den bedeutendsten Lyrikern seiner Zeit zählt, sind über zweihundert Jahre alt und dennoch erstaunlich gegenwärtig. Der Intendant der Berliner Festspiele, Matthias Pees, betritt die Bühne. „Herzlich willkommen im Abgrund“, begrüßt er die im Haus an der Schaperstraße versammelten Theaterbegeisterten. „Wir eröffnen das Theatertreffen in diesem Jahr inmitten der disruptiven Umwälzungen“, sagt Pees. Hölderlins mahnende Worte seien aktueller denn je. Die Welt, Deutschland, auch die Berliner Kultur- und Theaterszene, so sein Tenor, blicken in den Abgrund. Die politische Realität, die draußen vor den Türen des Theaters tobt, drängt sich gleich zu Beginn mit voller Wucht ins Spiel. Am selben Tag hat Berlins Kultursenator Joe Chialo überraschend seinen Rücktritt erklärt – aus Protest gegen die geplanten Kürzungen des Senats im Kulturhaushalt. Der Umstand lädt den Eröffnungsmoment mit einer Dringlichkeit auf, die sonst meist nur auf der Bühne verhandelt wird. Eine ernüchternde Einführung, die den Bezug zur Realität in der imaginären Welt des Theaters herstellt.
Claudia Roth, die sich mit ihrer Rede beim Theatertreffen (TT) 2025 aus dem Amt als Kulturstaatsministerin verabschiedet, wählt persönliche Worte. Theater sei für sie nie Beruf, sondern stets Leidenschaft gewesen. „Die Kunst kann heilen, aber auch weh tun“, sagt sie. Dies habe sie in ihre politische Arbeit mitgenommen, „weil es hierbei auch um die Zwischentöne geht“. Kultur sei unser Stachel und unser Spiegel. Auf diesen Bühnen werde der Mensch seziert und gefeiert. Sie „verneigt sich“ vor den Kulturschaffenden, die mit „Herzblut, Visionen und Widerstandskraft“ Jahr für Jahr das Festival prägen. Festivalleiterin Nora Hertlein-Hull erinnert an die Anfänge des Theatertreffens im Jahr 1964. Im noch geteilten Deutschland und dem vom Rest der Bundesrepublik abgetrennten Westberlin half das Festival, Kontakte herzustellen und sich auszutauschen. Heute ist das TT längst eine der renommiertesten Plattformen für deutschsprachiges Theater. In der 2025er-Ausgabe erwarten das Publikum „17 Tage voller spannender Erfahrungen“.
Das Eröffnungsstück „Bernarda Albas Haus“, eine Inszenierung des Deutschen Schauspielhauses Hamburg unter der Regie von Katie Mitchell, ist ein düsteres Kammerspiel über Macht, Begehren und Gewalt im Reich der Frauen. Das Stück basiert auf Federico García Lorcas gleichnamiger Tragödie von 1936, die von Alice Birch neu adaptiert wurde, in einer Fassung, die feministische Theorie und psychologische Abgründe miteinander verwebt. Die Handlung spielt in einem verriegelten Haus, bewohnt von der tyrannischen Witwe Bernarda, ihren fünf Töchtern und der geistig verwirrten Großmutter. Männer gibt es hier keine – und doch ist ihre Abwesenheit allgegenwärtig. Das Dorf, die Außenwelt, bleibt Projektion und Bedrohung zugleich. Peter ist der einzige männliche Bezugspunkt; seine oft nur imaginäre Präsenz elektrisiert die Frauen im Haus, entzündet Begierden und Eifersucht. Gleichzeitig sehen sie darin eine Chance, auszubrechen. Doch Befreiung ist nicht möglich, die Frauen sind in einer Art 'No Exit’-Situation gefangen, es ist der Bruch jeglicher Solidarität und Gemeinschaft untereinander.
Mitchell entwirft ein Tableau der Isolation: Die Figuren erscheinen zugleich Subjekt und Objekt ihrer eigenen Gefangenschaft. Die Großmutter träumt von einem „jungen Bräutigam“, trägt einen Brautschleier – ein surreales Bild, das zwischen Komik und Grauen changiert. Die Luft ist elektrisiert von den Spannungen und der Gewalt, auch körperlicher Art, die Bernarda ihren Töchtern zufügt, sobald der Wunsch nach Ausbruch nur leise geäußert wird. Die mühsam verborgenen Sehnsüchte, Triebe und geheime Wünsche entladen sich zwangsläufig in Aggressionen. Das unvermeidlich tragische Ende tritt ein, als Adele, eine der Töchter, das Haus verlassen will, koste es, was es wolle.
Diese Inszenierung von Katie Mitchell ist anders, als es das Publikum von ihren psychoanalytisch inspirierten, dekonstruierten Werken an der Berliner Schaubühne kennen mag. Ein hell erleuchteter Raum – dieses erbarmungslose Licht leuchtet die versteckten Winkel der Seele aus. Das Bühnengeschehen wird immer wieder schlagartig verlangsamt. Diese slapstickartigen Momente lassen die Figuren wie in Trance wirken. Dazu dröhnt ein Sound, der eher an Techno-Clubs erinnert. Die Frauen huschen wie Schattenwesen durch das Haus.
Ein bedrückendes Gefühl breitet sich im Verlauf der Aufführung zunehmend aus. Zuweilen drängt sich ein Vergleich mit Michael Hanekes Film „Das weiße Band“ auf: Auch dort geht es um die Tyrannei archaischer ländlicher Sitten und Abgründe des Menschlichen, Unterdrückung und Gewalt. Mitchells Werk will Ängste – vor Männern, vor dem Erwachsenwerden – an die Oberfläche befördern. Doch was im Text von Alice Birch, der auf der Originialvorlage des spanischen Lyrikers und Dramatikers Federico García Lorca basiert, als historische Parabel auf den Spanischen Bürgerkrieg lesbar ist, bleibt in Mitchells Version seltsam entkernt. Die Regisseurin siedelt die Handlung in einer unbestimmte Zeit an einem unbestimmten Ort an. Diese Entscheidung nimmt dem klaustrophobisch gedachten Drama die Lebendigkeit, trotz der überzeugenden darstellerischen Leistungen der Schauspielerinnen. Die Inszenierung bleibt abstrakt und berührt kaum.
Noch bis zum Sonntag, den 18. Mai 2025, präsentiert das von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Festival die „10er-Auswahl“. Die zehn bemerkenswertesten Inszenierungen der Saison, ausgewählt von der Jury aus rund 600 Produktionen, geben Einblick in die deutschsprachige Theaterszene und in zeitgenössische Theaterästhetiken. Neben dem Haus der Berliner Festspiele sind auch das Deutsche Theater, das Maxim Gorki Theater und die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Spielorte des Festivals. Ein besonderes Highlight ist die performative Installation „[EOL]. End of Life“ – eine Virtual-Reality-Erfahrung im Gropius Bau.
INFORMATIONEN
Theatertreffen 2025: https://www.berlinerfestspiele.de/theatertreffen
Bilder: Fabian Schellhorn, © Berliner Festspiele
Kontakt zur Autorin: Svetlana.Alexeeva@digital-insight.de
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