Seit 2005 bekleidet Wladimir A. Tschishow, Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter, den Posten "Ständiger Vertreter der Russischen Föderation bei der EU". Der ehemalige Vize-Außenminister kennt sich in den EU-Russland-Beziehungen bestens aus. Von 32 EU-Russland-Summits nahm er an 30 teil, auch am letzten Anfang 2014. Ein Gespräch beim Rhodos-Forum 2019 „Globale (Un-)Ordnung" des Dialogue of Civilizations Research Institute (DOC), angesichts des 30-jährigen Jubiläums des Falls der Berliner Mauer, über unterschiedliche Perzeptionen nach Ende des Kalten Krieges, versäumte Chancen und Perspektiven einer Annäherung zwischen EU und Russland nach der Europawahl 2019.
Ich könnte Ihnen eine einfache Antwort in Schwarzweiß geben, doch mit Differenzierung kommen wir der Sache eher bei. Die EU war noch nie ein einfacher Partner. Trotzdem war und bleibt sie unser wichtigster Handels- und Kooperationspartner und der größte ausländische Investor – trotz des aktuellen Zustands der Beziehungen, den ich für unnormal halte.
Seit 1989. 32 EU-Russland-Gipfel fanden seitdem statt, der letzte Anfang 2014, was schade ist, denn ungeachtet aller Rhetorik bleiben wir miteinander verbunden.
Viele halten die Ukraine-Krise für den Auslöser. Ich bin der Ansicht, dass es eher ein Katalysator war. Wir haben schon früher Anzeichen einer Entfremdung beobachtet.
2006 schlossen die Russische Föderation und die EU ein Visaerleichterungsabkommen. Danach verhandelten wir die Visaabschaffung und eine stufenweise Liberalisierung des Visaregimes. Viermal befanden wir uns an der Schwelle zur Vertragsunterzeichnung, doch jedes Mal gab es ein Rollback. Wir haben nie erfahren, warum: Die EU-Kommission schob es auf die Mitgliedsländer, die wiederum die Kommission beschuldigten.
Vermutlich lag es an der inadäquaten Wahrnehmung der Realität nach Ende des Kalten Krieges.
Durchaus. Selbst das bekannte Buch von Francis Fukuyama „Das Ende der Geschichte” spiegelt jene Illusionen von damals wider.
Darin, dass es gleichberechtigt am Aufbau einer gemeinsamen europäischen Vision beteiligt sein würde. Leider haben Europa oder der Westen damals die Chance einer strategischen Partnerschaft mit Russland versäumt. Noch bis vor kurzem sah die EU die Beziehungen mit Russland als “strategische Partnerschaft” an. Später wurde daraus eine “strategische Nachbarschaft”, denn “we share the same land mass”. Doch es ist bei weitem nicht nur die Landmasse, was uns verbindet. Es ist die gemeinsame Geschichte, das kulturelle und zivilisatorische Erbe. Obschon Russland schon immer nach West und Ost zugleich blickte: Schauen Sie sich unser Wappen und den doppelköpfigen Adler drauf an.
Mitnichten. China ist eine eigene Stoßrichtung. Das ist die Ironie der Geschichte, dass die Beziehungen mit dem Westen gerade stagnieren, während sie mit China sich dynamisch entwickeln.
Das ist, erstens, die Architektur der Zusammenarbeit mit der EU zu bewahren, obgleich viele ihrer Elemente zurzeit eingefroren sind – wohlgemerkt, nicht von uns. Zweitens, bereiten wir den Boden für eine Wiederaufnahme der normalen Beziehungen vor – wenn denn die EU jene kritische Masse des politischen Willens generiert hat, um den Schwenk zu vollziehen. Dieser Umdenkprozess ist im Gange. Immer mehr Länder wollen Dialog mit Russland.
Das PKA trat nach Ratifizierung am 1. Dezember 1997 in Kraft und gilt bis heute. Eine andere Sache ist, dass wir uns nach einem Review-Prozess Anfang 2000er Jahre einig waren, dass wir eine neue Vereinbarung brauchen.
Es wurde vom Leben überholt. 2008 gingen wir ans Werk. Ich persönlich führte den Vorsitz der russischen Delegation. Ende 2010 legten wir aber eine technische Pause ein.
Der Lissabonner Vertrag, der die EU reformierte. Mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst hatte ich einen anderen Counterpart. Veränderungen gab es auch auf russischer Seite. Die Gründung der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) wurde immer konkreter, die Eurasische Wirtschaftskommission (EAWK) hätte mit am Verhandlungstisch sitzen sollen.
Korrekt. Formal dauert sie bis heute an.
Die gibt es, aber bisher nur auf Expertenebene, zwecks Erfahrungsaustausch. Ich will keinen Hehl daraus machen, dass die EU für die EAWU einen Modellcharakter hatte. Im Übrigen ist das kein Versuch Russlands, etwa die Sowjetunion wiederaufzubauen, was uns manche unterstellen. Die EAWU ist ein rein ökonomisches Projekt. Die offizielle Position die EU heute lautet: Wir sind verhandlungsbereit, wenn es freiwillig ist und alle EAWU-Mitglieder der WTO angehören. Doch Belarus ist kein WTO-Mitglied, und zwar wegen der ablehnenden Haltung die EU.
Indem man damit aufhört, das Verhältnis innerhalb eines ideologisierten Rahmens zu definieren. Wir sind offen für das Gespräch. Es ist an Europa, die Kooperations- und Kommunikationskanäle wieder zu öffnen.
Den politischen Dialog wie Konsultationen im Rahmen des Iran-Atomprogramms, über Lateinamerika, Afrika, Asien, Nahost, den Kampf gegen Terrorismus und Drogenhandel haben wir immer fortgeführt. Was ich besonders bedauere, ist die parlamentarische Kooperation EU-Russland, die nach der Krim-Krise ausgesetzt wurde.
Das wird sich zeigen. Nach der Europawahl 2019 sind viele neue Leute in Brüssel. Es gibt eine neue Europäische Kommission, damit auch andere Chefunterhändler. Ich bin bereit, mit allen zusammenzuarbeiten.
Gespräch: Svetlana Alexeeva, Inhaberin DIGITAL INSIGHT CIS sowie Editor BUSINESS & DIPLOMACY: Svetlana.Alexeeva@digital-insight.de
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